Ein Wiedersehen nach 65 Jahren

Vor einer Woche traf ich meine Spielfreundin von der Lungenheilstätte Albrechtshaus wieder. Ein Treffen mit einer Freundin ist nichts Außergewöhnliches, in diesem Falle aber doch. Wir sahen uns nicht nach 14 Tagen, 14 Wochen, 14 Jahren, 20 Jahren oder 50 Jahren wieder, sondern nach unglaublichen 65 Jahren. Mit dieser Freundin Christel habe ich bis zu meinem achten Lebensjahr gespielt. Wir haben zusammen im Sandkasten gebuddelt und gebaut, sind im Winter Schlitten gefahren und haben um die Kapelle Albrechtshaus, jetzt Stabkirche Stiege genannt, Verstecken gespielt. Sie ist in Güntersberge in den gleichen Kindergarten und die gleiche Schule gegangen wie ich auch, nur in einer tieferen Klasse.


Wie kam es, dass wir uns nach so viel Jahren wiedertrafen? Dazu muss ich ein bisschen vom Albrechtshaus erzählen. Es war eine Lungenheilstätte im Ostharz bei Stiege, Güntersberge, Hasselfelde, Stolberg gelegen. Aufgrund sehr vieler Erkrankungen an Lungen-Tbc wurde 1897 die Heilstätte gebaut, um erst einmal männliche Tbc-Kranke zu heilen und sie wieder arbeitsfähig zu machen. Das wurde durch wochenlange Liegekuren an der frischen Luft, gutes Essen und auch Operationen erreicht, bei denen oft auch einige Rippen entfernt werden mussten. Medikamente gab es zu Beginn noch nicht. Das Albrechtshaus erhielt seinen Namen nach dem Prinzregenten Albrecht aus Braunschweig. Da man feststellte, dass auch viele Frauen an Tbc erkrankten, wurde für sie1898 das Marienheim gebaut, das seinen Namen von der Gemahlin des Prinzregenten bekam.


In den 1930iger Jahren kam noch ein Kinderheim dazu. Dicht neben dem Hauptgebäude wurde eine Kapelle errichtet, die 1905 durch den Prinzregenten Albrecht geweiht wurde. Sie wurde angeblich von einer nordischen Patientin aus Dankbarkeit gestiftet, dass sie geheilt worden war. Diese Kapelle ist aus Holz im nordischen Drachenstil von der Firma Witte (Osterwieck) gebaut. Als Vorbild diente
die Kirche Wang im Riesengebirge im jetzigen Karpacz. Da es mit der Zeit weniger Tuberkulosekranke gab, wurden in der Heilstätte später Herz-Kreislaufkranke behandelt. Ab 1996 stand das Albrechtshaus leer. Die Pläne, ein Kempinski Hotel zu bauen, zerschlugen sich. Im Jahre 2013 legte man an vier Stellen im Haupthaus Feuer, so dass es abbrannte und jetzt eine Ruine ist. Zum Glück wurde die danebenstehende Stabkirche vom Feuer verschont. Es gab aber in der Kapelle mehrere Einbrüche, mit einer Kettensäge wurde die Holzwand aufgesägt, das Innere zerstört und voriges Jahr sogar über das Dach eingestiegen. Mit einem Seil ließen sich die Einbrecherin das Innere hinunter und zerschlugen das letzte intakte Bleiglasfenster, um dort wieder hinauszugelangen. Viele Menschen wollten das Kirchlein retten und gründeten 2014 den Verein „Stabkirche-Stiege e.V."

Von 1947 bis 1955 arbeitete mein Vater als Chefarzt im Albrechtshaus. Dann zogen wir nach Halberstadt. Ich verlor Christel aus den Augen und wusste Jahrzehnte nicht, was aus ihr geworden war. Mitte August 2020 bekam ich von Frau Regina Bierwisch vom Verein „Stabkirche Stiege e.V.“ eine E-Mail, ob ich eine Christa Bittner kennen würde, die im Albrechtshaus gewohnt hat. Sie hätte ihr eine Mail geschrieben. Natürlich kannte ich eine Christel Bittner. Schon Jahrzehnte hatte ich nach ihr gesucht und mich gefragt, was aus ihr geworden ist. Das Haus, in dem sie gewohnt hatte, war schon seit Jahren abgerissen, und ich fand niemanden, den ich fragen konnte, wo sie abgeblieben ist. Aber nun sollte es wahr werden, etwas über sie zu erfahren und sogar Kontakt zu ihr aufzunehmen? Da aus der Mail von Frau Bierwisch die Mailadresse von Christel ersichtlich war, schrieb ich einfach an Christel, und siehe da: Ich erhielt doch eine Antwort. War das eine Freude! Christel wohnt seit 50 Jahren in Potsdam, wo ich jede Woche hinfahre, um mit meiner Potsdamer Radgruppe Touren zu unternehmen. So war ein Treffen ein leichtes. Nun haben wir uns schon einige Male gesprochen und alte Erinnerungen ausgetauscht. Diese Freude und das Wiederfinden meiner Freundin nach so vielen Jahren habe ich
dem Verein „Stabkirche-Stiege e.V.“ zu verdanken.

 

Aufgeschrieben von Barbara Jäger in Berlin, September 2020

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